Begegnungen: Mitch – Als Diabetiker durch Südkolumbien

Der folgende Beitrag ist Teil der Gastautorenreihe “Traust Du Dich?” auf doyoudare.de

von Marco Sieber

San Agustin, Südkolumbien: eine Autotour über die engen Schotterpisten hinunter zum gewaltigen Rio Magdalena war geplant, ein beeindruckender Aussichtspunkt über die Schlucht des gleichen Flusses. Als Budgetreisender hatte ich eine Gruppentour gebucht, aber keine Ahnung wen ich bei diesem Ausflug kennen lernen sollte: Einen verstörten Tapir und ein paar Tage später fand ich schließlich die Zeit, um meine Gedanken über einen meiner Mitreisenden festzuhalten: Mitch, knapp 70 und Diabetiker.

Der alte Mann war langsam auf den Beinen, aber quietschfidel

Mitch zwängt sich in den Klapperkasten von Auto, das unser Transportmittel für die kommenden Stunden des Ausfluges sein würde. Er ist wohl um die 70 Jahre alt und wir setzten ihn vor zum Fahrer, um dem gut genährten Herren mit Halbglatze so viel Beinfreiheit wie möglich zu gewähren. Mit Smalltalk beginnt der Fahrer das Eis zu brechen. Mitch plappert munter drauf los und bringt gekonnt seine aufgeschnappten spanischen Redewendungen an. In seiner langen Stoffhose und sorgfältig zugeknöpften, einfarbigen Kurzärmelhemd erinnert er mich zunehmend an meinen Opa daheim.

Über den Tag hinweg jedoch entpuppt sich Mitch als echter Reiseveteran, der bereits fast jeden Winkel der Erde gesehen hat. Seine Lust, Neues zu entdecken und der Wille, dies auch mit seinen zahlreichen Wehwehchen durchzuhalten, faszinieren mich. Ich denke über meine eigenen Familie nach und wünsche mir insgeheim, dass ich im selben Alter auch noch so werde reisen können.

Schlucht des Rio Magdalena
Schlucht des Rio Magdalena

Das einzige, worauf man sich verlassen kann, ist Veränderung

Mitch hielt sich selbst und sein Schicksal nicht für so wichtig, akzeptierte sein Krankheit , nahm die Diabetes gelassen und wusste immer was er zu welcher Tageszeit essen musste, um seinen Insulinspiegel stabil zu halten.

„Was soll‘s: das einzige im Universum auf das man sich verlassen kann, ist Veränderung,” meinte er zu mir.

Er nahm sich immer seine Zeit, war langsam, aber kam an. Wenig später fühlte ich mich verantwortlich für ihn und sagte sofort zu, als er mich bat, ihn ein paar Tage mitzunehmen. Er wäre sonst ohne meine Spanischkenntnisse aufgeschmissen gewesen. Mit jüngeren Leuten, die seine und die Sprache der Einheimischen beherrschten, schien er schon eine ganze Weile gut gereist zu sein. Ich fand diese Strategie sehr clever.

Ein Tapir guckt ins Licht

Auf einer der schlechtesten Straßen des Landes quälte sich der klappriger Bus hinauf ins tropische Gebirge, mit uns als einzige Fahrgäste. Plötzlich kreischten der Busfahrer und sein Ticketabreißerkompagnon, dass wir schnell vorkommen sollten. Voll angeblendet, in der stockdunklen Nacht, stand ein Tapir halb auf der Straße, sodass der Bus an ihm vorbeigekommen wäre, aber sie wollten uns die seltene Begegnung nicht vorenthalten. Dieses behäbige Tier hätte auf der Straße sterben können, wäre unser Busfahrer nicht so aufmerksam gewesen.

Für mich eine Parallele zu Mitch, der vielleicht eines Tages unterwegs an irgendeinem Ort der Welt sterben wird (zumindest glaube ich das). Dafür gebührt ihm großer Respekt und ein Platz in den Erinnerungen der Reisenden, die ihn kennenlernen durften. Viele muss er auf seinen zahlreichen Trips positiv beeinflusst haben, und noch mehr werden sie bei ihrer Rückkehr nach Hause von ihm erzählen.

Wie denkt ihr darüber? Würdet ihr euch das Reisen mit einer eingeschränkten Person trauen?

Mehr Geschichten über Einheimische und Reisende aus Südamerika findet ihr auf meiner eigenen Homepage oder ihr schaut auf meinem Vlog vorbei!

 

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